Schilddrüse: Kleines Kraftwerk für den Körper

Oberarzt Dr. Franz Messenbäck von der Abteilung für Chirurgie der Klinik Oberpullendorf in der Radio Burgenland Sprechstunde im Gespräch mit Moderatorin Nicole Aigner zum Thema Funktion und Fehlfunktion der Schilddrüse.

Es ist eines jener Organe, das wir erst bemerken, wenn etwas nicht stimmt: die Schilddrüse. Sie liegt unterhalb des Kehlkopfs im Hals und produziert Hormone, die in unserem Körper sehr viele Vorgänge steuern. Die Schilddrüse beeinflusst sogar die Psyche.

OA Dr. Franz Messenbäck von der Abteilung für Chirurgie der Klinik Oberpullendorf ist Spezialist im Bereich der Schilddrüsenoperationen. Er kommt dann ins Spiel, wenn die Schilddrüse teilweise oder ganz entfernt werden muss. Die Schilddrüsenchirurgie wird heutzutage bevorzugt in Zentren angeboten, wo Know-how und technisches Equipment gebündelt angeboten wird. So auch an der Klinik in Oberpullendorf. „Wir haben eine sehr große Fallzahl an Schilddrüsenpatient*innen und -operationen“, erklärt der Oberarzt im Gespräch mit ORF-Moderatorin Nicole Aigner.

Im Bereich der Schilddrüse wird oftmals auch minimalinvasiv operiert. Dabei seien allerdings verschiedenste Faktoren abzuwägen. „Was die Schilddrüsenchirurgie betrifft, bin ich mit dem Begriff minimalinvasiv vorsichtig. Es ist gefragt, krankes Gewebe zu entfernen und dabei Strukturen wie die Stimmbandnerven und die Nebenschilddrüsen zu schonen. Manche Methoden, die sich minimalinvasiv nennen, sind eigentlich maximalinvasiv, wenn es nur darum geht, Narben aufgrund der Kosmetik zu verlagern“, erklärt OA Dr. Franz Messenbäck.

Kleines Kraftwerk im Körper

Die Schilddrüse ist ein schmetterlingsförmiges Organ, das vor der Luftröhre unterhalb des Kehlkopfes im Halsbereich liegt. Es ist wie ein kleines Kraftwerk im Körper. Die Schilddrüse reguliert Stoffwechselprozesse, sie ist zuständig für die Herz-Kreislauf-Funktion, für Wachstum und Entwicklung des gesamten Körpers und des Gehirns sowie für die Temperaturregulierung. „Es ist ein Organ, das fast überall im Körper greift, selbst für die Verdauung“, bringt es der Spezialist auf den Punkt.

Generell sind die Grundfunktionen der Schilddrüsenhormone bei beiden Geschlechtern gleich. Da sie aber ihre Wirkung auch über die Sexualhormone entfalten, gibt es Unterschiede bei Mann und Frau. Frauen etwa können bei Schilddrüsenstörungen unter Zyklusstörungen leiden. Vor allem in der Schwangerschaft spielt die Funktion des Organs eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Fötus und des Kindes. In den Wechseljahren, in deren Verlauf es zu Hormonumstellungen kommt, hat die Schilddrüse auch einen großen Einfluss. Bei Männern hingegen wirkt die Schilddrüse über das Testosteron. Bei einer Unterfunktion führt das dazu, dass die Spermienqualität schlechter ist. Es kann auch zu Erektionsstörungen und sexueller Lustlosigkeit kommen.

Symptome: von Haarausfall bis Depression

Eine Unterfunktion der Schilddrüse kommt wesentlich häufiger vor als eine Überfunktion. Die Unterfunktion ist dadurch gekennzeichnet, dass die Schilddrüse zu wenig Hormone bereitstellt und in der Folge manche Stoffwechselprozesse verlangsamt bzw. eingeschränkt ablaufen. Dies kann zu Müdigkeit, Erschöpfung, Gewichtszunahme, Haarausfall, trockener Haut, brüchigen Nägeln und im schlimmsten Fall zu Depression führen.

Bei der Überfunktion ist genau das Gegenteil der Fall. Sie ist wie ein Turbomotor: Die Herzfrequenz steigt. Die Temperaturempfindung ändert sich. Es kommt zu Hitzewallungen, Hitzegefühl, Nervosität, Schlaflosigkeit bis hin zu Durchfall und weiteren Symptomen.

Häufige Funktionsstörung

Funktionsstörungen der Schilddrüse betreffen circa fünf bis zehn Prozent der Weltbevölkerung. Es gibt aber noch weitere Erkrankungen, zum Beispiel den typischen Kropf. „Er trat früher wesentlich häufiger auf als heutzutage und entstand meist wegen eines Jodmangels. Durch die gesetzlich verordnete Jodierung des Speisesalzes seit 1963 wurde das Problem stark eingeschränkt“, weiß der Experte.

Eine weitere mögliche Erkrankung sind Knoten in der Schilddrüse. Etwa 50 Prozent der Menschen seien im Laufe ihres Lebens einmal von solchen Knoten betroffen. Zur Diagnose werden unterschiedliche Untersuchungen eingesetzt: Tastbefund am Hals, Ultraschall, Szintigrafie und Blutbefunde. In manchen Fällen ist auch eine Feinnadelpunktion nötig. „Selbst mit allen Ergebnissen dieser Untersuchungen hat man oft nicht die Gewissheit, ob ein Knoten gut- oder bösartig ist. In so einem Fall kommen dann die Chirurgen ins Spiel. Diese entfernen den Knoten so, dass der Pathologe nach der Untersuchung sagen kann, ob er gut- oder – in selteneren Fällen – bösartig ist“, erklärt OA Dr. Franz Messenbäck.

Bemerkt man selber Veränderungen an der Schilddrüse sind die Hausärzt*innen erste Ansprechpartner*innen. Ein Blutbefund kann bereits einen Hinweis auf eine Unter- oder Überfunktion geben. „Natürlich ist auch jeder Patient selbst gefragt, sich den Hals hin und wieder abzutasten“, so der Aufruf des Experten. Beim Verdacht auf eine Knotenbildung kann der Hausarzt oder die Hausärztin eine Ultraschalluntersuchung veranlassen. Sollten sich Knoten bestätigen, folgt die weitere Abklärung.

Grundsätzlich ist auch das Leben ohne Schilddrüse mit der Gabe künstlicher Schilddrüsenhormone möglich. Dabei seien einige Faktoren zu beachten. Etwa, ob die Gabe der Hormone aus einer Unter- oder Überfunktion heraus startet. Zu Beginn der Einstellung sei es deshalb wichtig, in kurzen Abständen Blutuntersuchungen zu machen, um die richtige Einstellung zu finden.

Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis

Hashimoto-Thyreoiditis ist eine Autoimmunerkrankung. Der Körper, speziell das Immunsystem, bildet dabei Antikörper gegen Bestandteile des Schilddrüsengewebes, die sich an den Schilddrüsenzellen anlagern, Entzündungen verursachen und in weiterer Folge die Funktion der Schilddrüse einstellen. „Es ist, als ob ein kleines Kraftwerk komplett ausbrennen würde“, beschreibt es Dr. Franz Messenbäck. Führt man dem Körper keine künstlichen Schilddrüsenhormone zu, seien die Folgen dramatisch: Depression, unkontrollierte Gewichtszunahme, Haarausfall, psychische Störungen. Im Endeffekt könnte das Fehlen der Hormone sogar zum Tod führen.

In Ostösterreich hat es nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 besonders viele Fälle von Schilddrüsenproblemen gegeben. „Es ist davon auszugehen, dass Tschernobyl nach 1990 in circa 8 bis 40 Prozent der Fälle für das Auftreten von Schilddrüsenkarzinomen verantwortlich war. Wie weit das jetzt noch greift, kann ich nicht sagen“, so der Schilddrüsenchirurg. Die diagnostischen Möglichkeiten seien besser geworden, Knoten in der Schilddrüse würden häufiger entdeckt. Es sei dennoch wichtig, dass Menschen, die damals jung waren, regelmäßig zum Screening und zur Untersuchung gingen, da sie noch immer belastet seien. Es gilt: Je früher diese Karzinome entdeckt werden, desto besser sind sie heilbar.

Jod als Motor der Schilddrüse

Eine gesunde Ernährung ist, was die Schilddrüse betrifft, nicht nur ein Schlagwort, sondern ganz essentiell. Wichtig ist vor allem die Jodzufuhr, denn Jod ist der Treibstoff der Schilddrüse. Ohne Jod werden keine Schilddrüsenhormone produziert. Ohne Schilddrüsenhormone kommt es zu massiven Fehlfunktionen. Zu den Schilddrüsenhormonen zählen unter anderem das Thyroxin (T4) und das Trijodthyronin (T3).

Jod kommt in Seefischen, Algen und in geringeren Mengen in Milch und Milchprodukten wie Käse oder auch in Eiern vor. „Das jodierte Speisesalz zu konsumieren reicht aber vollkommen aus. Die Dosen wurden im Laufe der Zeit angepasst“, weiß OA Dr. Franz Messenbäck.

Operation: Balance zwischen Kosmetik und Risiken

Jede Operation birgt ihre Risiken. „Die Schilddrüse wäre leicht zu operieren, gäbe es nicht zwei Strukturen, einerseits den Stimmbandnerv, andererseits die Epithelkörperchen“, so der Chirurg. Epithelkörperchen sind vier kleine Drüsen. Sie sitzen an der Rückseite der Schilddrüse und haben einen wichtigen Einfluss auf den Kalziumgehalt des Blutes. Mit entsprechender Erfahrung (Fallzahl) und technischer Ausstattung lässt sich dieses Risiko bei Operationen minimieren. Bei der Schnittführung gilt es, eine Balance zwischen den kosmetischen Ansprüchen und den medizinischen Erfordernissen zu finden, vor allem aber eine Balance zwischen der Kosmetik und den Risiken.