NUR ALLE TAUSEND JAHRE
Michael Brenner
Sektgläser und Lachsbrötchen wurden vorbereitet und in die Arbeit mitgenommen, der Jahreswechsel stand vor der Tür. Doch diesmal war es kein gewöhnlicher, es ging um das Einläuten eines neuen Jahrtausends. Im Vorfeld des Wechsels von 1999 auf 2000 kursierten viele, teils skurrile Theorien: Lag das Ende der Welt vor uns? Würde etwas Unvorhersehbares passieren? Aber auch relativ reale Gefahren wurden diskutiert: Könnte es zu einem weltweiten Computer-Crash, dem sogenannten »Millennium Bug« oder auch Y2K-Problem, kommen und alle Systeme ausfallen? Für ein Krankenhaus wäre das ein Super-GAU, und als Mitarbeiter in der Technik gab mir das zu denken.
Als dann am 31. Dezember 1999 die ganze Welt den Schritt in ein neues Zeitalter startete, herrschte rund um den Globus Euphorie. Aber in die ausgelassene Partystimmung mischte sich auch immer mehr Unsicherheit. War etwas dran an den Theorien oder zumindest an den Vorhersagen vom technischen Super-GAU bei der Datumsumstellung? Alle Systeme mussten schließlich zeitgleich von 1999 auf 2000 springen, das konnte die Technik schon überfordern, oder? Würde es Stromausfälle oder andere Ausfälle geben? Niemand konnte sagen, wie es ausgehen würde, alle waren sich unsicher, auch Expert*innen weltweit.
Auch ich und mein Team fragten uns ständig: Würde die Software mit der neuen Jahrtausendzählung klarkommen? Die konkrete Befürchtung sah so aus: Die alten und immer nur weiterentwickelten Programme würden nicht verstehen, dass sich mit den Ziffern 00 die Zeit nicht zurückdrehen würde, sondern ganz normal weiterlaufen musste. Und weil niemand einen Überblick hatte, in welchen Programmen das Problem noch schlummerte, könnte die Menschheit am 1.1.2000 eine böse Überraschung erwarten.
In Güssing bereiteten wir uns vor: Wir mieteten ein Stromaggregat samt Tankstelle an, mit dem wir die kritische Zeit von 21:00 bis 02:00 Uhr würden überbrücken können, um so diverse Schäden und Ausfälle im Krankenhaus zu vermeiden. Das Aggregat war nagelneu und doppelt abgesichert. Wenn eine Seite ausfallen würde, würde es automatisch auf die zweite umschalten. Meine Kollegen und ich waren zu dieser Zeit in Gruppen eingeteilt, jeweils ein Elektriker und ein Haustechniker im Abstand von neun Stunden. Die erste Schicht begann um 12:00 Uhr, mein Kollege und ich übernahmen dann um 21:00 Uhr. Auch der Kaufmännische Direktor war im Einsatz und hatte im Hintergrund Verbindung mit der Direktion in Eisenstadt. Er war das Sprachrohr zwischen Direktion und Technikern, sollte es irgendwelche Neuigkeiten oder Änderungen geben. Unsere zentrale Aufgabe in diesen kritischen Stunden war es, den technischen Bereich zu beobachten und bei Ausfällen so schnell wie möglich einzuschreiten. Einer der wichtigsten Punkte war auch, das Stromaggregat zu starten, im Auge zu behalten, zu tanken und den Ölstand zu kontrollieren.
Alle waren sehr angespannt, von Silvesterstimmung konnte keine Rede sein. Die Uhr tickte und wir näherten uns dem Jahreswechsel. Aus den Medien hatten wir gehört, dass es bislang in den östlichen Ländern, die uns mit der Zeit voraus waren, noch keine Komplikationen gegeben hatte. Doch würde das auch bei uns der Fall sein?
Eine Minute vor Mitternacht: Die Spannung stieg ins Unermessliche, was würde in den nächsten Sekunden passieren? Der Zeiger sprang auf 24:00 Uhr.
Und dann: Die große Erleichterung – der Jahressprung verlief ohne Komplikationen und völlig normal, so wie jedes andere Jahr zuvor auch. Wir schauten uns an, alle mit einem ersten, zaghaften Lächeln im Gesicht, und die Anspannung fiel mit einem Mal ab.
Sofort wurde die erfreuliche Nachricht nach Eisenstadt in die Direktion gemeldet: Im Krankenhaus Güssing sei der Jahreswechsel ohne jegliche Störung verlaufen!
Von der Direktion kam die Anweisung, dass wir vor Ort bleiben, die Anlagen im technischen und medizinischen Bereich kontrollieren und beobachten sollten, ob es nicht doch noch Abweichungen geben könnte. Wenn alles in Ordnung wäre, könnten wir das Stromaggregat abschalten und dann die Aktion Jahressprung Y2K abbrechen. Bei unserem folgenden Kontrollgang und der Inspektion der Anlagen und medizinischen Geräte konnten wir keine Störungen feststellen.
Der Verwaltungsdirektor bedankte sich für unseren nächtlichen Einsatz. Es war ein anstrengender Tag und eine herausfordernde Nacht, aber wir waren alle froh und erleichtert, dass dieser Einsatz so positiv endete. Gemeinsam begossen wir das junge Jahrtausend mit einem Glas Sekt und verspeisten endlich die vorbereiteten Lachsbrötchen. Dann ging es ab nachhause zur Familie. Zum Glück gibt es so eine Aufregung nur alle 1000 Jahre!

MICHAEL BRENNER
ist Leiter der Technik in der Klinik Güssing.