Rheumatoide Erkrankungen: „Der Fortschritt ist enorm”

Oberarzt Dr. Martin Farkas von der Abteilung für Innere Medizin der Klinik Oberpullendorf sprach in der "Radio Burgenland Sprechstunde" am 4. April 2024 mit ORF-Moderatorin Nicole Aigner über rheumatoide Erkrankungen.

Schmerzverzerrtes Gesicht, der typische Griff an den Rücken, jeder Schritt fällt schwer: Der sogenannte rheumatoide Formenkreis ist ein sehr weites Feld. Wo liegen die Ursachen und Unterschiede zwischen einer Immunreaktion des Körpers und einer Abnützung und wie lässt sich beides behandeln? Das erläuterte Oberarzt Dr. Martin Farkas von der Abteilung für Innere Medizin an der Klinik Oberpullendorf in der Radio Burgenland Sprechstunde vom 4. April 2024. „Der rheumatoide Formenkreis umfasst eine große Anzahl von Erkrankungen. Eine sehr große Anzahl – ungefähr 80 Prozent – sind degenerativ bedingte rheumatische Erkrankungen und 20 Prozent entzündlich-rheumatische Erkrankungen“, so Farkas. Beispiele für letztere seien etwa die rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew oder Kollagenosen. Die Mehrzahl der Erkrankungen betreffe aber degenerative Veränderungen. Der Unterschied liegt also in der Ursache? „Ja, der Unterschied liegt in der Ursache. Die klassischen entzündlichen rheumatischen Erkrankungen sind Autoimmunerkrankungen, wo es durch eine Fehlzündung des körpereigenen Immunsystems zu einer Entzündungsreaktion in den Gelenken, Muskeln, Sehnenansätzen usw. kommt. In den überwiegenden Fällen kommt es zu Knorpelschädigungen und Schädigungen des Bewegungsapparates, die oft auch noch andere Ursachen, wie Übergewicht usw. haben.“

Behandlung und Linderung

Ob es Ähnlichkeiten in der Behandlung oder der Linderung der Symptome sowohl bei den degenerativ bedingten rheumatischen Erkrankungen als auch bei den entzündlich-rheumatische Erkrankungen gäbe? Die Schmerztherapie sei im Prinzip bei beiden Erkrankungsformen die gleiche, so der Experte. Die Ursachenbehebung sei aber natürlich eine andere, da man bei den Autoimmunerkrankungen eine immunsuppressive Therapie brauche, um die Entzündung zu stoppen. Bei den degenerativen Gelenkserkrankungen spiele hingegen das große Feld der physikalischen Medizin, der Orthopädie sowie der reparativen chirurgischen Therapie eine sehr große Rolle.

Entscheidend sei auch die Bewegungstherapie, sowohl für die entzündlichen als auch für die degenerativen Rheumapatientinnen und -patienten. Auch Therapien mit Wärme oder Kälte würden eine Rolle spielen. Nicht für alle Patientinnen und Patienten hilft dieselbe Therapie. Ungefähr ein Drittel aller Menschen spreche besser auf die Kälte und zwei Drittel eher auf Wärme an, so Oberarzt Dr. Farkas. Man müsse das als Patientin oder Patient selber herausfinden.

Auch die Frage, wann ein künstliches Gelenk als Ersatz überlegt wird, wurde im Interview erörtert. „Bei den rheumatischen Erkrankungen gibt es eine Zusammenarbeit mit den Rheumaorthopäden, die die Patienten beraten, ob man die zerstörten Gelenke austauschen oder versteifen kann oder sie mit Orthesen versorgt“, erklärt der Experte. Bei degenerativen Erkrankungen würden Unfallchirurginnen und -chirurgen und Orthopädinnen und Orthopäden die Patientinnen und Patienten beraten, zu welchem Zeitpunkt es am besten sei, eine Knie- oder Hüftprothese etc. zu bekommen.

Lebensstil und Vererbung

Auch die Rolle familiärer Vererbung und der Lebensstil waren Thema. „Bei der rheumatoiden Arthritis bzw. Schuppenflechte-Arthritis gibt es meist familiäre Häufungen“, weiß Dr. Farkas. Das sogenannte HLA-B27-Gen sorge dafür, dass es familiär gehäuft zu Erkrankungen, etwa der rheumatoiden Arthritis, komme. Auch die sogenannte Fingerpolyarthrose sei eine vererbte Erkrankung, die meist alle Frauen einer Familie betrifft.

Bei degenerativen Erkrankungen ist auch der Lebensstil bedeutend, vor allem Übergewicht, aber auch falsches Bewegen oder wenig Bewegung spielen eine große Rolle. „Gelenke beginnen dann zu ‚rosten‘ bzw. sich abzunützen. Auch der falsche oder übermäßige Sport kann Einfluss haben“, so Farkas.

Auch wie sich chronische Entzündungsprozesse auf den Körper in seiner Gesamtheit auswirken, stand zum Gespräch. „Bei den klassischen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen hat man in den letzten Jahren den Fokus verstärkt darauf gelegt, dass die Patienten durch die chronische Inflammation stärker für Herzanfälle und Schlaganfälle gefährdet sind. Eben durch diese chronische Inflammation, die sich auch in den Gefäßen abspielt. Bei diesen Patienten versuchen wir auch den Blutdruck und das Cholesterin einzustellen“, erläutert der Oberarzt aus der Klinik Oberpullendorf im Interview.

Chronischer Schmerz

Viele Patientinnen und Patienten würden mit Schmerzen leben. Das habe große Auswirkungen auf den Alltag, das Berufs- und Familienleben. „Der chronische Schmerz ist ein sehr großes Problem, chronischer Schmerz macht nämlich krank und hat einen sehr starken psychischen Einfluss, auf das Familienleben, das Arbeitsleben, Krankenstände, und so weiter. Chronischer Schmerz ist immer ernstzunehmen. Man muss versuchen, die Patienten schmerzfrei zu bekommen“, betont Oberarzt Dr. Farkas. Zum Glück sei der medizinische Fortschritt enorm. Ein Beispiel: Morbus Bechterew. Früher habe es dafür keine gute Therapie gegeben. Bis zur endgültigen Diagnose dauerte es oft acht bis zehn Jahre. Mit den heute zur Verfügung stehenden Medikamenten, sei es fast zu hundert Prozent möglich, dass Patientinnen und Patienten nicht mehr mit Behinderungen wie einem Buckel leben müssten oder in den Rollstuhl müssen. Auch bei der rheumatoiden Arthritis komme es kaum mehr zu schweren Gelenkszerstörungen. Und: In Orthopädie und Orthopädietechnik gäbe es sehr viele Fortschritte, etwa mit neuen Materialien, die länger halten, und besseren Operationsmethoden.

Diagnose nicht immer einfach

Oft sei die Diagnose nicht einfach. „Eine schwierige Frage. Es gibt nicht wirklich Früherkennungsmerkmale für die rheumatisch-entzündlichen Erkrankungen. Es dauert oft eine gewisse Zeit, bis man die richtige Diagnose stellt“, erklärt Dr. Farkas im Gespräch. Im ersten Schritt nehme meist der Hausarzt Blut ab, um Entzündungswerte, Rheumafaktoren, Antikörper, Autoantikörper, etc. zu bestimmen. Gut sei es auch, die Patientinnen und Patienten frühzeitig zu einem Röntgen oder MR zu schicken. So gäbe es eine raschere Diagnose.

Wie wichtig ist der Faktor Psyche? „Die Psyche spielt in der Schmerzwahrnehmung eine ganz große Rolle. Und in der Wahrnehmung, wie man mit der Erkrankung zurechtkommt“, erklärt der Experte. Es gäbe viele Patientinnen und Patienten, die objektiv keine wahrnehmbare entzündliche Aktivität hätten, die aber trotzdem unter Schmerzen leiden. Dann die Ursache zu finden, sei sehr schwierig.

Trotz Schmerzen mobil zu bleiben sei sehr wichtig, egal ob mit Nordic Walking oder Radfahren. Wichtig sei, dann dranzubleiben. Auch Selbsthilfegruppen können unterstützend wirken. Das sei sehr wichtig, weil sich Patientinnen und Patienten austauschen und über ihre Probleme sprechen können, etwa über Nebenwirkungen von Medikamenten, chronische Schmerzen, etc.

Ob Rheuma jemals heilbar sein wird? „Aus der Hämato-Onkologie werden mittlerweile Medikamente für die Rheumatologie verwendet. Da sich bei chronischen Autoimmunentzündungen ähnliche Mechanismen abspielen. Ob man hier ein Mittel finden wird, das Heilung bringt, ist eine gute Frage. Die Forschung ist hier noch gefragt. Jedes Jahr kommen für die Rheumatologie neue Medikamente mit überschaubareren Nebenwirkungen heraus. Das ist vielversprechend“, so Dr. Farkas zum Abschluss.

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